Bei der Eröffnung von Obergrenze (Fuga) als Wandzeitung # 38 bei Steinbrener/Dempf & Huber wurde ich gefragt, was denn Vogelschwärme am Abendhimmel über der nordafrikanischen Mittelmeerküste und europäische Kirchtürme miteinander zu tun hätten. Diese Frage war schon früher gestellt worden, von mir selber zuallererst, als ich im Jänner 2016 mit der Zusammenstellung der Fotografien für das gleichnamige Buch begann.
Es gibt auf diese Frage nicht nur eine Antwort sondern mehrere, falsche und richtige, lange und kurze, mögliche und unmögliche. Eine, die ich gerne mag, stammt von Isidore Ducasse (besser bekannt als Comte de Lautréamont, Autor von „Les Chants de Maldoror“) und ist schon vor geraumer Zeit formuliert worden. Sie handelt von der zufälligen Begegnung „einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch“ und der Schönheit, die in diesem unerwarteten Zusammentreffen begründet ist.
Wenn wir nicht nur die Bildmotive, sondern auch den Titel der Arbeit in den Blick nehmen – und das müssen wir, ist er doch, wie auch die Zitate von Paul Celan und Friedrich Nietzsche, integraler Teil von ihr – tun sich weitere Antworten (und auch neue Fragen!) auf. So ist im lateinischen „Fuga“ (Flucht) das Weglaufen vor unerträglichen Lebensumständen, eine kontrapunktische Satzart in der Musik (und damit die formale Struktur der Arbeit) enthalten, wie auch die Fuge, der Raum zwischen vorgeblich disparaten Elementen.
In der österreichischen Kleinstadt Telfs wurde im Jahre 2006 eine „Obergrenze“ für die Höhe des Minaretts der dortigen Moschee beschlossen. Seit 2015 taucht der Begriff fast nur noch im Zusammenhang mit Fragen zu Flucht und Migration auf. Zur Frage der Migration über die Mittelmeerroute kamen vor kurzer Zeit von einem österreichischen Politiker, der Kürze auch in seinem Namen trägt, ein paar Aussagen und Vorschläge. Wie viele Andere meine auch ich, dass diese Aussagen und Vorschläge unmöglich sind.
Doch geht es hier nicht um Meinen und Meinungen und schon gar nicht um die Meine. Vielmehr soll Obergrenze (Fuga) als Künstlerbuch, als Mappenwerk und als Wandzeitung # 38 Räume öffnen, ästhetische Räume – totaliter aliter – für Fragen und Antworten, Erfahrungen und Wahrnehmungen, Gedanken und Ideen jenseits der von Medien und Tagespolitik vorgegebenen Begrifflichkeiten.
Um zum Ende und zurück zur eingangs erwähnten Frage zu kommen: Die Vogelschwärme am Abendhimmel über der nordafrikanischen Mittelmeerküste und die europäischen Kirchtürme haben soviel oder sowenig miteinander zu tun wie die Tag- & Nachtmotive in der Serie „disappearance of landscape“ (1981 – 1983, die erste Arbeit, die ich publiziert habe).
Christian Wachter, Wien, Juli 2017
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