Um semantische, konzeptuelle, sogar performative Elemente vermehrt Christian Wachter das prinzipiell fotografische Dispositiv seiner Arbeiten bisweilen so, dass es den Anschein hat, als würde er die Fotografie verlassen, jedoch sind es oft gerade deren eigene Parameter, die er neu aufgreift und paraphrasiert.
So fällt in der 40-teiligen Serie „Come in. Please! (arbeiten - Corona - wohnen)“ der doppelte Stillstand auf, während die Serien „NFT-C (Non-Fungible Tobacco Containers)“ oder „Diana“ von einem quasi verdoppelten „Gewesen ist“ sprechen, das den Motiven und der Fotografie eigen ist. Wachter spricht in Bezug auf „Come in. Please!“ von einem „Erinnerungsspeicher“, den man auch unter dem Gesichtspunkt der Archivierung oder Nachträglichkeit sehen könnte. Ebenso sprechen die Patronenhülsen in „Diana“ und die Zigarettenpackungen in „NFT-C (Non-Fungible Tobacco Containers)“ von einer Art Nachleben, wenn Abfallprodukte zu Protagonisten konzeptueller Überlegungen werden. Formale Entscheidungen wie Wiederholungen und Sequenzen sind dabei ebenso werkbildend wie Narrative karg und kryptisch sein können, wenn es sich nicht um Architekturfotografie oder Porträt handelt. Wachter, für den generell Genres keine Rolle spielen, spricht in seiner Arbeit „Come in. Please!“ von „Übersetzung“, jedoch ist es mehr ein Austausch, wenn nicht Dialog, der generell mit dem Medium selbst stattfindet.
Corona geschuldet muss es in den Wohn- und Arbeitsräumen von Christian Wachter bereits unbewegt und still gewesen sein, bevor der Stillstand der Fotografie einsetzte. Jeder Gegenstand scheint an seinem Platz und obwohl nichts arrangiert ist, scheint ein idealer quasi überzeitlicher Zustand zu herrschen, dessen historisch gewachsene Ordnung sich einem Ganzen unterordnet. Auch geben die Räume kaum weiterführende Hinweise auf eine spezielle Situation von Künstleratelier oder Künstlerwohnung, sprechen hingegen von einem Alltag, der in einem Modus des Innehaltens zwischen Zeitgebundenheit und Ewigkeit einen Umgang mit der Zeit suggeriert, der in die Nähe einer philosophisch motivierten Allzeitlichkeit rückt, die hier zwar kein „überall und nirgends“ ist, aber die Räume dem Realen enthebt.
Das ist, wie uns bereits Walter Benjamin klarmachte, auch der Architekturfotografie geschuldet, die die Macht des Bildes nutzt und der eine bessere Erfassung der Wirklichkeit und ein anderer Zugriff auf die Architektur möglich ist. Bei „Come in. Please!“ handelt es sich zweifelsohne um räumlich motivierte Architekturfotografien, die durch Perspektiven, gewollte Schrägen, raumschaffende Durchblicke und kantenreiche Einblicke eine Dynamik erzeugen und sich durch den gewählten Weitwinkel wie ein Buch dem Betrachter zu aufzuklappen scheinen. Als quasi performativer Akt können sie mit der Aufforderung „Come in. Please!“ visuell beschritten werden. Bald meint man von Raum zu Raum in den Rhythmus der Serie und deren Ähnlichkeit zu fallen, was von vornherein die dokumentarische Erfassung der Räumlichkeiten konterkariert. Der Referent tritt immer mehr in den Hintergrund und ein Fluss, eine Bewegung stellt sich ein, auch wenn es Wachters Absicht war, den Referenten quasi forensisch herauszustreichen. Der Titel, der mit der Differenz zwischen Realität und Fotografie im Benjaminschen Sinn spielt, changiert auch zeitlich zwischen der Aktion des visuellen Begehens und dem „Erinnerungsspeicher“. Wichtig ist auch der Prozess der Entstehung, der mit Ort und Zeitpunkt der Aufnahme angegeben ist und den Wachter als „das einzig Wahre an einer Fotografie“1 bezeichnet, bevor es die Narration um das „Come in“ gibt, wenn es also noch das reine Medium war, wie er selbst sagt: „Bei der Übersetzung meiner Wohn- und Arbeitsräume in den Bildraum dieser Fotodokumentation habe ich mich den Konventionen und den technischen Möglichkeiten des Mediums fast blind anvertraut, anders als sonst. Aus dem Wunsch heraus einen Erinnerungsspeicher zu schaffen mit möglichst viel Raum für Ikonisches und Indexikalisches und nur wenig für persönliche Symbolik?“2
Persönliches zu den Räumen erfahren wir aus dem zur Arbeit gehörigen Textblatt, das uns die lange Geschichte der Wohnung erzählt, die Wachter seit den 1980er Jahren bewohnt und wo er seit damals lebt und arbeitet. Dort erfahren wir Details über ihre Ausstattung und dass sie am Volkertplatz im zweiten Wiener Gemeindebezirk zu finden ist. Allerdings gibt es kein Bild des Hauses, das an einer der beiden Schmalseiten des Platzes liegt. Wir bleiben im Innenraum, im Gegensatz zu den Porträts von Menschen am Volkertplatz, die Wachter 1984 am Platz oder in den anliegenden Straßen anfertigte. Damals hatte die Wohnung noch eine Dunkelkammer, die 2000 aufgelöst wurde und danach als Rauchsalon in Verwendung war, wie wir aus dem Kontext einer weiteren Werkgruppe von vor 2014/2017/2022,3 den „NFT-C (Non-Fungible Tobacco Containers)“, einer Serie von mehreren 100 C-prints erfahren. Wie in „Come in. Please!“ ist auch hier die Narration knapp, aber quantitativ breit gehalten, als würden die Bilder einen langen Lebens- und Arbeitsprozess bildlich zu bewältigen haben. Wachter hat die Zigarettenpackungen, vornehmlich der geschichtsträchtigen und sehr österreichischen Marke Smart Export, über Jahre gesammelt und sie danach detailgetreu fotografisch erfasst. Er operiert mit den Mitteln von Objektivierbarkeit und wählt neuerlich eine strenge Form: Wir sehen „nur“ das jeweilige Objekt, dessen Kontext das nächste ist, das sich formal vom vorhergehenden zwar unterscheidet, dennoch ähnlich ist. Die Packungen sind scheinbar achtlos zusammengeknüllt und haben ihren Index doppelt verbraucht, wenn sie ikonisch zu zentralen Objekten werden. Sie paraphrasieren das Stillleben, wie man es aus der Malerei, aber auch aus der Fotografie kennt und arbeiten mit dem Gestus der Duration, der Dauer, mit der die Neoavantgarden Subjektivität und Emotionalität ausschließen wollten und sich strenge Regeln und Handlungsanweisungen auferlegten. Stand dort die Idee, das Konzept im Vordergrund und eine gewisse Entmaterialisierung, kann letzteres für Wachter nicht zutreffen, der seine Objekte fotografisch wie kostbare Sammelgegenstände ausleuchtet und ihre Materialität quasi skulptural sprechen lässt.
In „Diana“ geht es um die Natur, um die Jagd, um leere Patronenhülsen, die in der Natur liegengeblieben sind. Wachter hat sie an zwei Tagen 2008 an zwei Orten in Ligurien fotografiert. Wie ein Vertreter der Land Art hat er gehend Bereiche erschlossen, die er jetzt in eine filmische Sequenz4 stellt. Als würde er in einem gleichmäßigen Gehen innehalten, um eine Aufnahme nach der anderen zu tätigen, nehmen wir Bild um Bild wahr. Der Unterschied von Film und Fotografie ist gegeben, wenngleich das formale Konzept in der Präzision und in der Wiederholung des zentralen Motivs der Serie „NFT-C (Non-Fungible Tobacco Containers)“ ähnlich ist. Allerdings ist hier Sitespecificity mit dem Konzept der Duration verbunden. Ein melancholischer Standpunkt mit dem Blick nach unten auf den Boden kann die Thematik zusätzlich unterstreichen. Auch hier geht es um ein Nachleben. Was, wenn etwas zu Boden gefallen ist? Georges Didi-Huberman geht in seinem Essay „Ninfa moderna“ (2013) spezifischen Fragen des „Nachlebens“ nach, die er in Resten der nun zu Lumpen gewordenen „Nymphe“ im Rinnsal am Boden vorfindet. Diana ist zwar keine Nymphe, aber die Göttin der Jagd, der nun mittels eines sachlich rezipierten, quasi wertlosen Gegenstandes eine neue Ästhetik verliehen wird, wenn ihr „Nachleben“ ikonisch und quasi archäologisch motiviert ist. Als einzelne Zigarettenpackung der italienischen Marke „Diana“ kommt sie im Video wörtlich mit genauer Zeit- und Ortsangabe inmitten der Patronenhülsen vor und liegt ebenso achtlos am Boden, den Didi-Huberman als „Rinde der Geschichte“ versteht.
1 Siehe http://www.christian-wachter.at/work-new/come-in-please
2 Ebenda
3 Die Zigaretten wurden vor 2014 geraucht, die Packungen zerknüllt und gesammelt, 2017 fotografiert und 2022 geprintet.
4 https://vimeo.com/735359894
Susanne Neuburger, Kunsthistorikerin und Kritikerin; bis 2019 Sammlungsleiterin am Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien. Aktuelle Texte: https://kunstund.blogspot.com
Aus: Christian Wachter, Konzept versus Fotografie, Fotogalerie Wien, Wien 2022
Christian Wachter augments the principal photographic dispositif of his work with semantic, conceptual and even performative elements, so that it sometimes seems as if he is about to leave photography behind when he is often actually re-engaging and paraphrasing its very parameters.
So in the 40 part series, Come in. Please! (working – corona – living) a double stoppage is noticeable, while the NFT-C (Non-Fungible Tobacco Containers) series or Diana speak of a quasi doubled-up “has been”, that is characteristic of both the subject matter and photography itself. When referring to Come in. Please! Wachter speaks of a “memory storage” that one could also consider from the point of view of archiving or retrospection. Likewise the cartridge cases in Diana and the cigarette packets in NFT-C speak of a kind of survivance, when waste products become the protagonists of conceptual reflection. Here, when they are not concerned with architectural photography or portraits, formal decisions such as repetitions and sequences are as formative to the works as they can be narratively austere and cryptic. In his work, Come in. Please!, Wachter, for whom genres generally do not play any role, speaks of “translation” though it is more of an exchange (if not a dialogue) that mostly takes place with the medium itself.
Owing to Corona, Christian Wachter’s living and working spaces must already have been motionless and silent before the photographic freeze took effect. Every object appears to be in its place and even though nothing is arranged, it seems that the prevailing state is almost one of timelessness in which historically evolved order is subject to a higher whole. Additionally, the rooms give little indication of being the special situation of an artist’s studio or living space, but speak instead of everyday life on pause mode between being in time and eternity. This suggests dealings with time that come close to philosophically-motivated omnitemporality where although it is not “everywhere and nowhere” in this case, nevertheless removes the rooms from reality.
As Walter Benjamin has already clarified for us, architecturalphotography is also indebted to the power of the image to make a better grasp of reality and another way of accessing architecture possible. In the case of Come in. Please! There is no doubt that we are dealing with spatially motivated architectural photography in which dynamism is created by perspective, intentionally oblique slopes, space-generating vistas and multi-cornered views and the choice of a wideangle lens which appears to open up the spaces like a book. The invitation, Come in. Please! can be accepted as a quasi-performative act of visually entering the spaces. Before long, moving from one room to another, one falls into the rhythm of the series and their similarities which a priori counteracts the documentary record of the spaces. Increasingly, the referent recedes into the background and a flow, a movement, is established even if Wachter’s intention was to emphasise the referents in an almost forensic way. The title, which plays with the difference between reality and photography in a Benjaminian sense also oscillates temporally between the action of the visual tour and the “memory storage”. The origination process is important too, with the place and time of the shot specified by Wachter as “the only real thing about a photograph”1 before there is any narrative to “Come in”, when it was still just the pure medium. As he puts it: “In translating my working and living spaces into the pictorial spaces of this photo documentation I placed an almost blind trust in the conventions and technical possibilities of the medium, much more than usual. From the desire to create a memory store with the greatest amount of space for the iconic and indexical and very little for personal symbolism?”2
We learn more personal details about the rooms from a page of text, that goes with the work and tells the long story of the flat that Wachter moved into in the 1980s and where he has lived and worked since then. We also learn about details of the furniture and that it is located in Volkertplatz in Vienna’s second district. However, there is no image of the house that lies on one of the two short sides of the square. In contrast to the portraits of people in Volkertplatz whom Wachter photographed in 1984 in the square itself or on the adjoining streets, we remain inside. As we learn from the context of another work group from before 2014, 2017/2022,3 NFT-C, a series of more than 100 colour prints, the flat still had a darkroom at that time which was removed in 2000 and afterwards used as a smoking room. As with Come in. Please! the narration here is also succinct though quantitatively extensive, as if the images would have to pictorially master long life- and work-processes. For years Wachter collected the cigarette packets, above all the very Austrian brand with a long history, Smart Export, to then photograph them in great detail. He operated with objectivity as a device and again chose a strict form: we “only” see each object in the context of the next one which, although formally different, is nevertheless similar. The packets appear to be randomly crushed and when they become iconic as central objects, they have made use of their index twice. They paraphrase still lifes as we know them from painting and photography and work with the gesture of duration with which neo-avant-garde wanted to exclude subjectivity and emotionality and subject to strict rules and directives. If the idea, the concept, took the foreground here together with a certain dematerialisation, the latter cannot apply to Wachter, who lights the subjects of his photos as if they were precious collectible objects and allows their materiality to speak as if they were sculptures.
In Diana the concern is with nature, the hunt, with empty cartridge shells which have been left lying around in the countryside. Wachter photographed them in two locations in Liguria on two separate days in 2008. Like a proponent of land art he opened up areas on foot which he put together in a filmic sequence4. We get to know the series picture by picture, as if he would pause an even gait in order to take one shot after another. The difference between film and photography is given even when, in its precision and repetition of the central motif, the formal concept is very similar to the NFT-C series. However, site specificity and the concept of duration are bound together here. A melancholy point of view, with the gaze directed at the ground adds additional emphasis to the subject. Here, too, the concern is survivance. What, if something fell to the ground? In his essay, “Ninfa Moderna” (2013), Georges Didi-Huberman pursues the question of “survival (survivance)” that he found in the remains of the “Nymph” reduced to rags in a rivulet on the ground. Even though Diana is no nymph but rather the Goddess of the Hunt, who is now given a new aesthetic by means of a factually perceived, more or less worthless object when its “afterlife” is iconic and quasi archeologically motivated. As the only cigarette packet – an Italian brand, “Diana” – it appears textually in the video with exact details of time and situated in the middle of the sequence of cartridge cases, lying on the ground as unheeded as something that Didi-Huberman calls the “rind of history”.
(Translation from German: Tim Sharp)
1 See: http://www.christian-wachter.at/work-new/come-in-please
2 Ibid.
3 The cigarettes were smoked prior to 2014, the packets crushed and collected, photographed in 2017 and printed in 2022.
4 https://vimeo.com/735359894
Susanne Neuburger, art historian and critic; until 2019 head of the collection and curator at the Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Vienna. Recent texts: https://kunstund.blogspot.com
From: Christian Wachter, Concept versus Photography, Fotogalerie Wien, Vienna 2022