Surplus bedeutet Überschuß, Mehrwert und ist ein Begriff aus der Ökonomie, eignet sich aber auch zur Reflexion über z.B.: den psychischen Apparat, das Kino, Architektur oder ästhetische Produktion im allgemeinen.
Als Krebs oder Krebsgang bezeichnet man in der musikalischen Kompositionslehre eine „Form der kontrapunktischen Verarbeitung von Themen, bei der das Thema rückwärts gespielt wird“.
Das Modell der Endlosschleife (Videoloop) kommt ursprünglich aus der Informatik – durch die permanente Wiederholung gleicher Szenenfolgen kommt es quasi zu einer „Bedeutungsverschärfung“ und die gewohnte lineare Auffassung von Zeit und Geschichte wird radikal nihiliert.
In der Videoinstallation „surplus (krebsgang)“ verbinde ich Bilder eines zentralen Sakralbauwerks der jüdisch-christlich-abendländischen Kultur (des römischen Petersdoms) mit Aufnahmen von dessen kruder Kopie in einem der ärmsten Winkel Afrikas – und mit einer Urform (nomadischer) Architektur, dem Tarp oder Tarpaulin (eine einfache Zeltplane, auch von den Campern und Abenteuerurlaubern unserer Fun- und Erlebniskultur geschätzt).
Die erste (wie die letzte) Szene des Videoloops in meiner Installation zeigt – neben menschlichen Fußspuren im Sand – zwei Strandkrebse bei der Arbeit an ihren unterirdischen Behausungen und blendet dann über auf die „zentrale“ Einstellung – wie ein Krustentier, das seitwärts läuft, gegen den Uhrzeigersinn und das Objektiv stets zentrifugal nach außen gerichtet, umkreist die Kamera, in einer beinahe endlos scheinenden „Fahrt“ entlang sandsteinfarbener Säulenreihen, ihren Gegenstand: die Basilika „Notre Dame de la Paix“ (ihre Gesamtansicht sehen wir erst gegen Ende der Schleife) in Yamoussoukro, der offiziellen Hauptstadt der Elfenbeinküste. – Auf der Tonspur hören wir währenddessen Windgeräusche und schnelle Schritte, die klingen wie Stiefel (oder Pferdehufe?) auf Marmor; wenn die Schritte, was einige Male geschieht, aus ihrem Marschrhythmus geraten, erkennen wir für Sekundenbruchteile Bilder der eingerüsteten Fassade des Petersdoms (auf den auch die beiden Digitaldrucke, auf der Innen- bzw. Außenseite der großen Zeltplane, verweisen).
Gedanken an Albert Speer mögen beim Anblick der (absichtlich amateurhaft-ruckeligen) Bilder dieses bizarren Bauwerks aus den späten achtziger Jahren aufkommen (dabei orientiert sich die Architektur der Stadt sonst eher an Oscar Niemeyers Brasilia als Vorbild), oder an das – schon etwas angestaubte – Paradigma des „anything goes“; auch die ganze Misere kolonialer und postkolonialer Politik mag einem durch den Kopf gehen – ganz sicher stellt sich angesichts dieser Bilder von „Kopie“ und „Original“ die Frage: welche ideologischen Intentionen und tatsächlichen Wirkungen stecken hinter diesem Transfer – und weiter, welche normierende Rolle spielen Bilder, Architektur und Ästhetik in einer Welt, die ethische Normen kaum mehr kennt und zusehends von orthodoxen Mächten dominiert ist?
Die Form der Umkreisung dieses Gebäudes, zusammen mit ihrer endlosen Wiederholung (und dadurch Übersteigerung) als Loop, erscheint mir zwar hart an der Schmerzgrenze für jeden Betrachter (mich selbst eingeschlossen – ich muß dabei immer an Friedrich Nietzsches Satz von der „ewigen Wiederkehr des Gleichen“ als Inbegriff der Unerträglichkeit denken), letztlich aber als die adäquate, performative Geste, dem schaurigen Pathos dieser monumentalen Post- Renaissance-Architektur zu begegnen.
Christian Wachter, Cover der gleichnamigen DVD, Wien 1999